Ich hatte bereits einen ähnlichen Beitrag vor knapp zwei Jahren veröffentlicht: Antidepressiva – Lebensgefährliche Placebos? Wie es heute aussieht, hat sich nichts an den damals gefundenen Ergebnissen zu diesem Thema geändert. Darüber hinaus scheint es jetzt Experten zu geben, die zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommen wie die, die ich in dem oben angeführten Artikel diskutiert hatte.

Bei diesen Experten handelt es sich um zwei Wissenschaftler aus der Ruhr-Universität Bochum. Die Professoren Margraf und Schneider veröffentlichten ihre Forschungsergebnisse als Kommentar in einem Fachjournal: From neuroleptics to neuroscience and from Pavlov to psychotherapy: more than just the “emperor’s new treatments” for mental illnesses?

Die hier in der Überschrift angesprochenen „Kaisers neue Behandlungsmethoden“ für psychische Erkrankungen haben viel mit den „Kaisers neuen Kleidern“ zu tun: Jeder in der Branche lobt etwas, was beim genaueren Hinsehen nicht real ist.

Und wie ich in meinem „Plazebo-Beitrag“ von vor zwei Jahren schon gezeigt hatte, kommen die beiden Bochumer Professoren zu überraschend ähnlichen Befunden, wenn es um die Bewertung von Behandlungen, speziell von medikamentösen Behandlungen von psychischen Erkrankungen geht.

So bescheinigen sie den sonst so hochgelobten Medikamenten gegen Depressionen, Angststörungen und ADHS eine bestenfalls kurzfristige, anfängliche Wirksamkeit. Und Antidepressiva wirken, wenn überhaupt, nur in schweren Fällen. Aber spätestens wenn die Medikamente nicht mehr genommen werden, ist die Krankheit wieder in voller Pracht zurück. Zudem verursachen viele Psychopharmaka eine Abhängigkeit, das heißt, sie machen süchtig. 

Das heißt für die Praxis, dass die Medikamente nichts heilen, sondern für eine lebenslange Therapie (die diesen Namen somit nicht verdient hat) konzipiert sind. Die Hersteller freuen sich über solche “Dauerpatienten”.

Und man sollte nie vergessen: Bei einer langfristigen Einnahme haben Medikamente immer ein noch höheres Risiko für Nebenwirkungen, als Medikamente, die nur kurzzeitig genommen werden.

Aber es ist gleichgültig, ob wir es mit psychischen Erkrankungen oder mit chronisch-organischen Störungen zu tun haben. In jedem Fall ist die medikamentöse Therapie auf eine Langzeitgabe der Medikamente ausgelegt.

Bemühungen, Ursachen und damit die medikamentöse Therapie zu beseitigen, gibt es in der Schulmedizin leider viel zu selten! In der Praxis beobachte ich eher das Gegenteil: Patienten (vor allem mit chronischen Erkrankungen) bekommen ein Mittel nach dem anderen.

Übrigens: Wenn Sie solche Informationen interessieren, dann fordern Sie unbedingt meinen kostenlosen Praxis-Newsletter dazu an:

Zu Psychopharmaka gibt es Alternativen

Im Bereich der psychischen Erkrankungen ist die Ursachenforschung zugegebenermaßen noch einmal schwieriger als die, die sich an organischen Erkrankungen orientiert. Hier ist die bequeme Gabe von 1-2-3 Pillen am Tag die einfachere Alternative, die auch den behandelnden Arzt bis zu einem gewissen Grad „entlastet“.  Denn die Pillen können schnell verschrieben werden.

Die besseren Alternativen zum Psychopharmaka-Konsum wären zum Beispiel psychotherapeutische Behandlungen. Die haben aber den eklatanten Nachteil, dass ihre Wirkung nicht ganz so schnell einsetzt wie die der Pillen.

Ein weiterer und schwerwiegenderer Nachteil ist die Verfügbarkeit einer solchen Behandlung. Während die Psychopharmaka in jeder Apotheke verfügbar sind, ist eine psychotherapeutische Behandlung nicht auf Rezept beim Apotheker abholbar.

Die beiden Wissenschaftler aus Bochum bemängeln hier den Mangel an kompetenten psychotherapeutischen Einrichtungen, die Patienten lange Wartezeiten zumuten oder überhaupt nicht in der Lage sind, die Vielzahl an Patienten zu betreuen.

Damit bleibt zahlreichen Ärzten oft gar nichts anderes übrig, als auf die medikamentöse Therapie zurückzugreifen, frei nach dem Motto, dass der Einäugige der König im Reich der Blinden ist.

Diese „Einäugigkeit“ hat allerdings für die Betroffenen doppelt negative Konsequenzen. Zum ersten ist die medikamentöse Wirksamkeit, wie oben schon diskutiert, bestenfalls von nur vorübergehender Dauer.

Dann kommt die Tatsache dazu, dass man wohl weiß, dass ein Absetzen des Medikaments nicht in Frage kommt, ohne einen sogenannten „Rückfall” zu riskieren. Doch in Wirklichkeit handelt es sich dabei oft nur um Entzugserscheinungen.

Eine Reihe dieser Medikamente, wie Tranquilizer, haben auch noch ein abhängig machendes Potenzial, so dass man hier mit der Langzeittherapie “Drogenabhängige” produziert.

Wenn hier ein Entzug erfolgt, dann sind die Symptome, gegen die der Patient die Medikamente genommen hatte, im Nu wieder präsent zusammen mit Entzugserscheinungen, die das Paket an Symptomen nur noch verschlimmern. Damit kommt eine Belastung des Organismus mit den chemischen Substanzen in den Medikamenten zusätzlich auf die Betroffenen zu.

Ein Problem stellen Entzugs-Symtome auch bei Wirksamkeits-Studien dar. Viele Teilnehmer haben vorher schon ähnliche Medikamente genommen und sind noch gar nicht richtig „clean“. Dann meinen sie natürlich, das getestete Mittel helfe gegen ihre Erkrankung, weil sie sich besser fühlen.

Antidepressiva verursachen derart eindeutige Nebenwirkungen, dass auch die Verblindung in den Studien nicht funktioniert. Prüfärzte und Teilnehmer ahnen oder wissen genau, ob ein Placebo oder ein Verum im Spiel ist.

Dann fällt natürlich auch die Bewertung entsprechend anders, also verfälscht, aus. Studien, in denen Placebos mit Wirk-Substanzen verwendet wurden, die ähnliche Nebenwirkungen wie das Verum auslösen, verliefen praktisch ohne Wirksamkeitsnachweis.

Bei Studien mit SSRIs wurde festgestellt, dass viele Patienten den Test abbrechen, weil sie die Nebenwirkungen nicht ertragen. So kommt es ebenfalls zu verzerrten Ergebnissen.

Wirksamkeit muss bezweifelt werden

Wenn man sich dann die Zahlen zur Wirksamkeit der Psychopharmaka anschaut, die die Bochumer Experten zum Besten geben, dann muss man überhaupt an der Berechtigung einer solchen Therapieform zweifeln.

Während früher Zahlen von klinischen Vergleichsstudien genannt wurden, nach denen Antidepressiva bei 70 Prozent der Depressiven effektiv waren und Placebo bei 30 Prozent der Erkrankten, sieht die Zahlenlandschaft heute vollkommen anders aus. Heute wirken Antidepressiva bei nur 40 Prozent der Patienten mit einer Depression.

Gibt man aber den Depressiven nur Placebo, dann reagieren immer noch 30 Prozent so, als wenn sie eine hoch effektive Substanz zu sich genommen hätten. Bei Jugendlichen und Kindern (eine wirklich lukrative Indikationserweiterung für die Industrie!) haben sich diese Medikamente nicht nur als unwirksam, sondern als nachhaltig schädlich entpuppt.

Die Experten aus Bochum nennen noch ein paar andere, eindrucksvolle Zahlen. Antidepressiva bewirken nach Absetzen der Medikation eine Rückfallrate von bis zu 80 Prozent, bei einem Durchschnitt von 60 Prozent.

Die von beiden favorisierte psychoanalytische Therapie (kognitive Verhaltenstherapie), die auch nicht ein Leben lang verläuft, zeigt eine Rückfallrate von nur durchschnittlich 30 Prozent.

Bei Angststörungen sind die Zahlen für Verum und Placebo praktisch identisch. Bei der kognitiven Verhaltenstherapie kommt es in der Überzahl der Fälle zu einer Stabilisierung des Zustands bis hin zu weiteren Verbesserungen auch nach der eigentlichen Therapie.

Die Autoren sehen noch einen gegenläufigen Effekt bei der Psychotherapie und der medikamentösen Therapie: Während eine zusätzliche Psychotherapie bei Medikamentengabe deutliche Verbesserungen in der Behandlung mit sich bringt, zeigt der umgekehrte Weg keinen Zusatznutzen.

Oder mit anderen Worten: Eine kognitive Verhaltenstherapie alleine ist ebenso wirksam oder nicht wirksam wie eine solche Therapie zusammen mit einem Psychopharmakon. Bei einigen Vertretern der Psychopharmaka, wie den Benzodiazepinen oder den trizyklischen Antidepressiva zur Behandlung von Angststörungen, ist die gleichzeitige Gabe zusätzlich zur Psychotherapie weniger effektiv als die Psychotherapie allein.

Ist das Problem noch biochemisch?

Der Grundgedanke, warum ein Patient eine psychische Erkrankung bekommt, liegt in der nicht bewiesenen Annahme, dass beim Patienten biochemische Vorgänge im Gehirn und/oder Nervensystem aus dem Gleichgewicht geraten sind.

So werden dann mit den SSRI (selektive Serotonin Wiederaufnahmehemmer) und trizyklischen Noradrenalin Wiederaufnahmehemmern (NRI)  zum Beispiel die entsprechenden Neurotransmitter manipuliert, als ob der Mangel an Transmittern die Ursache für die Störung sei.

Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, ob es sich hier um die Ursache oder nur die Auswirkung handelt. Wie es aussieht, handelt es sich hier auch „nur“ um ein Symptom, dass sich auf biochemisch-zellulärer Ebene bemerkbar macht. Denn wäre das Ungleichgewicht wirklich (sprich: evidenzbasiert) die Ursache, dann hätten wir andere Zahlen für die Wirksamkeit der oben diskutierten Substanzen vorliegen.

Prof. Margraf kommentiert diesen Sachverhalt so: „Es ist heute Standard, den Patienten und der Öffentlichkeit zu erzählen, dass ein aus dem Lot geratenes Neurotransmittersystem die Ursache für psychische Erkrankungen ist.“ Für ihn ist dieser Erklärungsversuch alles andere als befriedigend, nicht zuletzt, weil er soziale Faktoren vernachlässigt. Oder mit anderen Worten: Der Mensch ist kein biochemischer Roboter, bei dem eine Transmitter-Schraube locker ist, wenn er psychisch Probleme bekommt.

Übrigens: Wenn Sie solche Informationen interessieren, dann fordern Sie unbedingt meinen kostenlosen Praxis-Newsletter “Unabhängig. Natürlich. Klare Kante.” dazu an:

Bei der Frage, was getan werden kann, kommen die Autoren zu folgendem Ergebnis:

Erstens sollte es eine bessere Zusammenarbeit an den wichtigen Schaltstellen geben: Die Forschung nach Lösungen sollte eine Reihe von Faktoren mit einbeziehen, wie biologische, psychische und soziale Faktoren, die einen Einfluss auf die Entwicklung von psychischen Störungen haben.

Zweitens wird ein enger und ein weiter Fokus notwendig, wenn es um die Bewertung eng gefasster neurobiologischer Prozesse geht. Diese sind wichtiger Bestandteil des „Puzzles“. Aber eine alleinige Beachtung dieses Aspekts kann nicht zum Erfolg führen. Was hier nach Meinung der Autoren fehlt, das sind psychologische und soziale Aspekte, die nicht von der Forschung ausgeschlossen werden dürfen.

Drittens wollen die Autoren das Marketing der Pharmaindustrie zurückdrängen. Sie führen in ihren Ausführungen an, dass das Pharma-Marketing, Teile der Bio-„Wissenschaften“, die mit ihr verknüpft waren/sind, und die Schulmedizin ein extrem erfolgreiches Trio (Infernal?) bilden, das seit 1980 den Verkauf von psychotropen Medikamenten in den USA verfünffachen konnte.

Nach allen mir vorliegenden Zahlen, kann ich nur annehmen, dass die Produktion von Medikamenten (gleich welcher Art), immer den Verkauf und den Profit zum Ziel hat.

Das Marketing fragt nie, wie viele Patienten durch seine Medikamente geheilt worden sind oder wie viele Besserung erfahren haben.

Insider bestätigen mir immer wieder, dass in einschlägigen Meetings immer nur Verkaufszahlen und Profite diskutiert werden – und zwar in allen Variationen: die vom letzten Jahr, die von diesem Jahr und die, die man im nächsten Jahr, in 5 Jahren, in 10 Jahren und so weiter zu machen gedenkt.

Das ist die eigentliche evidenzbasierte Wissenschaft des Pharma-Marketings. Da ist die Erkrankung nur Mittel zum Zweck. Wenn man dann ein eigentlich unverkäufliches Produkt (etwas, was nicht wirkt aber gut neben-wirkt) anzubieten hat, dann wird in die Trickkiste gegriffen, um etwas Unverkäufliches so auf Hochglanz zu polieren, dass es jeder haben will: Manipulationen bei StudienWerbung mit Halbwahrheiten, Diskreditierung von   Konkurrenten, vor allem der unliebsamen „Alternativmedizin“, massive Beeinflussung von Meinungsbildnern und Ärzten etc. Wenn mit dem „Zurückdrängen des Pharma-Marketings“ das Ende dieser Praktiken gemeint ist, dann kann ich dem nur 1000-prozentig zustimmen.

Aber leider gehört diese Wunschvorstellung auch in den Bereich des Märchens. Denn ohne diese Instrumente ist das Marketing kein Marketing mehr.

Der Wunsch unserer beiden Professoren läuft auf die Durchführung des nicht Möglichen hin: Eine medikamentenherstellende Industrie, die nicht nach verkaufs- und marketingrelevanten Aspekten agiert, sondern ausschließlich das Wohl der Patienten berücksichtigt.

Schön wärs! Wie unmöglich das momentan zu sein scheint, schildern die Autoren selbst: In Großbritannien hat sich gezeigt, dass eine kurzfristige Psychotherapie gegen Angststörungen und Depressionen erfolgreicher verläuft als eine medikamentöse Therapie.

Die Kosten im Vergleich sprechen ebenfalls für die Psychotherapie und gegen die Pillen. Was also hält die evidenzbasierte Schulmedizin davon ab, die Psychotherapie als Mittel der ersten Wahl bei ihren Patienten einzusetzen?

Antwort, ganz evidenzbasiert: Es gibt keine Möglichkeiten für viele der Patienten, eine solche Therapie zu machen. Zudem müssen die Therapeuten eine entsprechende Qualifikation vorweisen, um effektiv behandeln zu können. Von beidem scheint es in Großbritannien (und woanders ist die Situation sehr ähnlich), nicht ausreichend genug Angebot zu geben. Die Hersteller der Pillen wird es freuen.

Fazit

Psychotrope Substanzen sind in der Regel kaum bis überhaupt nicht effektive Medikamente, die sich in den letzten rund 30 Jahren verfünffacht haben. Verdienst für diese Vermehrfachung von Produkten, die niemand braucht und niemandem nutzen, ist die Marketingabteilung der Pharmaindustrie, die in der Tat damit einen phantastischen Job auf den Tisch gelegt habt.

Es ist aber schön zu sehen, dass nicht nur „alternative Esoteriker“ zu dieser Schlussfolgerung kommen, sondern dass sich inzwischen auch „Experten“ zu solchen Sichtweisen hinreißen lassen. Welcome to the club!

Beitragsbild: 123rf.com – Vladimir-Soldatov

Bitte teilen Sie diesen Beitrag

Das könnte Sie auch interessieren: