Es geht wieder einmal um die Nebenwirkungen von Medikamenten.
Diesmal sind es die anticholinerg wirksamen Medikamente, die möglicherweise einen zerstörerischen Einfluss auf das Gehirn haben.

Auf dieses Thema kam ich durch einen Beitrag des NDR: “Anticholinerge Medikamente schaden dem Gehirn, der 2016 zu sehen war.

Und da wurde ich hellhörig und wollte der Sache weiter nachgehen, denn mein Verdacht besteht seit langem, dass zahlreiche Probleme der Altersdemenz, Alzheimer usw. vor allem auch auf den Medikamenten beruhen, die alte Menschen einnehmen.

Wo sind Anticholinergika drin?

Medikamente mit anticholinergen Wirkungen sind alles andere als eine Seltenheit! Das Zeug ist verbreiteter als ich dachte.

Es gibt Substanzen, die für eine Reihe von Indikationen verschrieben werden, wie:

  • Unruhe (obwohl Anticholinergika genau dies auslösen können!),
  • Parkinson,
  • Harninkontinenz und überaktive Blase,
  • Depressionen,
  • Neuroleptika,
  • Schmerzmittel vom Morphin-Typ,
  • Beruhigungsmittel (Benzodiazepine) etc.

Dazu gesellen sich dann noch die Substanzen, die rezeptfrei in der Apotheke bezogen werden können, zum Beispiel gegen Übelkeit, Bauchkrämpfe, Allergien und rezeptfreie Beruhigungsmittel.

Eine Kombination von verschreibungspflichtigen Medikamenten, die der Arzt verordnet hat, und rezeptfreien Präparaten, die der Patient wegen anderer kleinerer Beschwerden zu sich nimmt, sorgt dann für einen massiven anticholinergen Schub im Gehirn, der auf längere Zeit zu einem Desaster führen muss.

Nebenwirkungen: Selbstverständlich.

Nebenwirkungen scheinen in der Schulmedizin im Rahmen der medikamentösen Therapie so etwas wie eine „Selbstverständlichkeit“ zu sein, sodass die Therapeuten selbige oft nur schulterzuckend beim Patienten in Kauf nehmen.

Denn ein alter pharmakologische Leitspruch heißt: Ohne Wirkung keine Nebenwirkung und ohne Nebenwirkungen keine Wirkung.

Da muss man abwägen und die richtige Dosierung finden, um die Nebenwirkungen nicht Überhand nehmen zu lassen.

Es gibt dann auch noch die sehr beliebte Möglichkeit, die Nebenwirkungen mit weiteren Medikamenten zu bekämpfen. Schönstes Beispiel: Wenn ein Medikament Ödeme verursacht, dann gibt es eine „Entwässerungstablette“ (Diuretika) dazu.

Der dadurch entstehende Medikamenten-Cocktail bringt dann nicht nur weitere Nebenwirkungen, sondern auch noch Wechselwirkungen mit sich, was bislang in der Schulmedizin kaum diskutiert wird.

Die evidenzbasierte “Wirklichkeit” in Sachen Medikamente und deren Nebenwirkungen habe ich bereits in einigen Beiträgen beschrieben:

Ich schreibe dies hier auch alles, um endlich mal ein tiefgreifendes Umdenken in der Bevölkerung zu erreichen! Ich erlebe es immer wieder in der Praxis, dass Tabletten “gefressen” werden – ohne Ende.

Und dann soll es die Natur wieder in ein / zwei Behandlungen richten…

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Anticholinerge Nebenwirkungen

Anticholinerge Nebenwirkungen sind eigentlich keine Nebenwirkungen, sondern Hauptwirkungen.

Denn unter dem Begriff „anticholinerg“ versteht man die hemmende Wirkung auf den Neurotransmitter Acetylcholin.

Acetylcholin hat eine Reihe von Aufgaben im Gehirn und dem zentralen Nervensystem und ist ein hauptsächlicher Transmitter für den Parasympathikus.

Eine Hemmung von Acetylcholin bewirkt immer eine Hemmung des Parasympathikus, was dann in den Symptomen mündet, die die Schulmedizin landläufig als dessen Nebenwirkung bezeichnet.

Da der Parasympathikus neben dem Sympathikus alle inneren Organe innerviert, ist es nicht verwunderlich, wenn die Liste an „Nebenwirkungen“ fast endlos lang wird:

  • Mundtrockenheit
  • erweiterte Pupillen
  • Harnverhalt
  • Verstopfung und Lähmung der Darmmuskulatur
  • verminderte Schweißbildung mit trockener Haut
  • Tachykardien (hohe Herzfrequenz)
  • Unruhe und Erregung
  • Angstzustände
  • Halluzinationen
  • Krämpfe
  • Atemdepression
  • Koma

Gerade der letzte Punkt scheint zu Unrecht an letzter Stelle zu stehen. Denn die einem Koma vorausgehenden Bewusstseinsstörungen (die nicht immer mit einem Koma enden müssen) scheinen bei diesen Medikamenten gar nicht so selten zu sein.

In dem Beitrag des NDR wird der Fall eines Rentners gezeigt, dessen kognitive Fähigkeiten rasch und vehement abnahmen. Die Ärzte dachten sofort an eine sich rasch entwickelnde Demenz. Es zeigte sich aber, dass der Rentner ein Antidepressivum einnahm. Nachdem das Medikament abgesetzt worden war, erholte sich der Mann und war nach nur einer Woche wieder „der Alte“.

Die in dem Beitrag interviewten Ärzte bestätigen den Verdacht, dass gerade bei älteren Patienten eine Langzeittherapie mit anticholinergen Substanzen, gleichgültig wogegen oder wofür sie eingenommen werden, zu einer Schädigung des Gehirns führen kann und das Risiko für Demenz steigt.

Wenn man davon ausgeht, dass jeder 3. Patient in einem Alter von 75 Jahren und älter ein solches Präparat verschrieben bekommt, dann fällt es nicht schwer, die in diesem Alter so „typischen“ Gedächtnisprobleme einfach auf das fortgeschrittene Alter zu schieben.

Wie es aber aussieht, gibt es Grund zu der Vermutung, dass diese Medikamente, und weniger das Alter, für Gedächtnisprobleme verantwortlich zu machen sind.

Die Wissenschaft und ihre Befunde

Es ist fast beängstigend, wie wenig wissenschaftliche Studien es zu dieser Fragestellung gibt. Im Jahr 2017 sind bereits drei Arbeiten veröffentlicht worden, die der Frage nach den anticholinerg bedingten Nebenwirkungen nachgingen:

Association between using medications with anticholinergic properties and short-term cognitive decline among older men: A retrospective cohort study in Taiwan.

Diese Studie mit 274 Teilnehmern aus einem Altersheim aus Taiwan untersuchte die anticholinergen Eigenschaften der Medikamente, auf die die Teilnehmer eingestellt waren und setzte diese ins Verhältnis zu beobachteten Nebenwirkungen.
Über die Hälfte der Patienten waren auf anticholinerg wirkende Substanzen eingestellt. Die Autoren sahen hier ein signifikant erhöhtes Risiko für ein kurzfristig verlaufendes Nachlassen von kognitiven Fähigkeiten. Daher empfehlen die Autoren eine Reduktion beim Einsatz dieser Substanzen.

Clinically relevant potential drug-drug interactions among outpatients: A nationwide database study.

Diese Arbeit untersuchte die Interaktionen von Medikamenten. Beachtenswert ist hier, dass die Analyse die Daten von fast 1,2 Millionen Patienten umfasste. Die Autoren sahen, dass Medikamente, die ein erhöhtes Risiko für Blutungen, Verstärkung von Depressionen, Entstehung von kardiovaskulären Problemen und anticholinerge Effekte mit sich bringen, die höchste Rate an Interaktionen mit anderen Medikamenten aufweisen.

Damit hätten wir nicht nur ein an sich schon problematisches Nebenwirkungsprofil für anticholinerg wirksame Substanzen, sondern auch im Bereich der Wechselwirkungen von Medikamenten ein besonders hohes Potenzial an gesundheitsschädigenden Wirkungen.

Anticholinergic drug exposure is associated with delirium and postdischarge institutionalization in acutely ill hospitalized older patients.

Diese Studie untersuchte, ob Anticholinergika an der Entstehung von Delirium beteiligt sind, und ob die Substanzen die Notwendigkeit einer Einweisung in ein Pflegeheim nach Entlassung aus dem Krankenhaus notwendig machen, und eventuell die Mortalität erhöhen. Die Teilnehmer waren Patienten in einem Alter von 65 Jahren und älter.

Es zeigte sich, dass ein moderater und hoher Einsatz von anticholinergen Substanzen mit einer Erhöhung des Risikos für ein Delirium von 70 beziehungsweise 83 Prozent verbunden war. Ein hoher Einsatz der Substanzen machte nach Entlassung aus dem Krankenhaus 2,4 mal so häufig eine Einweisung in ein Pflegeheim notwendig. Eine Beeinflussung der Mortalität konnten die Autoren nicht beobachten.

Auch diese Autoren befürworten einen sehr restriktiven Umgang mit anticholinerg wirksamen Substanzen, besonders bei älteren Patienten.

Fazit

Studien, die zweifelsfrei belegen, dass anticholinerg wirksamen Substanzen Nervenzellen zerstören, gibt es bislang nicht.

Es gibt aber bereits genügen Studien, die belegen, dass ein sehr restriktiver Umgang diesen Substanzen geboten ist. Diese Restriktionen beziehen sich auf Wirkstoffmenge und Behandlungsdauer.

Andernfalls besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für Demenz, Delirium und andere neurologische Störungen. Alleine aus diesen Beobachtungen lässt sich die Hypothese ableiten, dass Anticholinergika hoch dosiert und über einen langen Zeitraum genommen zu irreversiblen Schädigungen des Gehirns führen können.

Beitragsbild: 123rf.com – ian-allenden

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