Medikamente

Betablocker bei Migräne? Wenn einem nichts mehr einfällt…

Betablocker sind seit mehr als 30 Jahren auf dem Markt. Sie wurden ursprünglich zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit konzipiert und eingesetzt.

Aber jede pharmazeutische Firma versucht Strategien zu nutzen, die den Ein- und Umsatz des Produkts erweitert und vergrößert.

Ein beliebter „Trick“ ist die Indikationserweiterung. Bei den Betablockern war es die „Entdeckung“, dass sie bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit einen gleichzeitig bestehenden Bluthochdruck senken konnten. Das war die Geburtsstunde der Betablocker als Antihypertensiva. Natürlich war man in der pharmazeutischen Industrie mit dieser Indikationserweiterung noch nicht zufrieden.

So kam es, dass Mitte der 1980er Jahre das „Gerücht“ kursierte, dass bestimmte Betablocker auch bei Migräne wirksam sein konnten. Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass nur Betablocker ohne intrinsische Aktivität einen Effekt zeigten.

Und es zeigte sich, dass sie nur schlecht, wenn überhaupt, bei einem akuten Anfall wirksam waren. Dafür zeigten sie als Prophylaxe eine für die Schulmedizin interessante Wirksamkeit.

Für die Pharmaindustrie war die Prophylaxe ebenfalls die interessantere Indikation, da der zu erwartende Umsatz ungleich höher ausfallen musste als es bei einer Indikation für akute Migräneanfälle zu erwarten war.

Denn bei der Prophylaxe nimmt der Patient jeden Tag definierte Mengen über einen längeren Zeitraum, vielleicht sogar lebenslang. Bei einer reinen Anfallskupierung nimmt der Patient die Substanz nur akut im Falle von auftretenden Kopfschmerzen.

Vor 30 Jahren waren die Betablocker eine Art „Hoffnungsschimmer“ am düsteren Horizont der Migränepatienten. Denn bis zu diesem Zeitpunkt gab es so gut wie keine wirksame Akuttherapie, außer mehr oder weniger wirksame Kopfschmerztabletten.

Eine Prophylaxe gegen Migräne war zu diesem Zeitpunkt etwas vollkommen Neues. Heute sieht die Migräne-Welt und Migräne-Prophylaxe etwas anders aus. Die Betablocker haben sich durchsetzen können als Mittel der ersten Wahl zur Migräne-Prophylaxe.

Hier werden Metoprolol und Propanolol genannt, neben Flunarizin, einem Calciumantagonisten und den Antikonvulsiva Topiramat und Valproinsäure (Therapie der Migräne – Deutsche Gesellschaft für Neurologie).

Wann macht man eine Prophylaxe und der Trick der Prophylaxe

Laut „Ärzteblatt“ (aerzteblatt.de/archiv/8499/Behandlung-der-Migraeneattacke-und-Migraeneprophylaxe) sollte immer dann beziehungsweise nur dann eine Prophylaxe in Erwägung gezogen werden, wenn sich folgende Sachverhalte ergeben:

  • Mindestens drei Migräneattacken pro Monat, die auf eine den Richtlinien der Deutschen Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft entsprechende Akutmedikation nicht ausreichend angesprochen haben,
  • Migräneattacken, die vom Patienten subjektiv als unerträglich empfunden werden,
  • Nicht tolerablen Nebenwirkungen der Akuttherapie.

Die eben zitierte „Deutsche Gesellschaft für Neurologie“ hat einen etwas größeren Indikationskatalog für eine Prophylaxe:

  • Migräneattacken, die regelmäßig länger als 72 Stunden anhalten
  • Attacken, die auf eine Therapie entsprechend den oben gegebenen Empfehlungen zur Akuttherapie (inkl. Triptanen) nicht ansprechen
  • Patienten, bei denen Kontraindikationen für die Einnahme von Triptanen bestehen und/oder
  • Wenn Nebenwirkungen der Akuttherapie nicht toleriert werden
  • Bei Zunahme der Attackenfrequenz und Einnahme von Schmerz- oder Migränemitteln an mehr als 10 Tagen im Monat
  • Bei komplizierten Migräneattacken mit beeinträchtigenden (z.B. hemiplegischen) und/oder lang anhaltenden Auren
  • Zustand nach migränösem Infarkt bei Ausschluss anderer Infarktursachen

Wenn man jetzt aber glaubt, dass eine Prophylaxe mit Betablockern (oder auch anderen Substanzen) zu einem Stopp der Migräneanfälle führt, der muss sich beim Ärzteblatt und den Deutschen Neurologen eines Besseren belehren lassen.

Denn die sprechen von einem Erfolg beziehungsweise einer Wirksamkeit der Prophylaxe schon dann, wenn die Anfallshäufigkeit um nur 50 Prozent gesenkt wird. Und diese Wirksamkeit baut sich auch erst langsam auf, weshalb Betablocker keinen Akuteffekt haben.

Daher sollte ein Patient erst einmal seinen prophylaktischen Betablocker über den Zeitraum von 3 Monaten konstant einnehmen und gleichzeitig einen „Kopfschmerzkalender“ führen. Erst dann lässt sich mit einiger Bestimmtheit sagen, ob die Prophylaxe wirksam geworden ist oder nicht.

Die Schmerzklinik Kiel hat einen noch ausgefeilteren Therapieansatz zu bieten (Vorbeugen mit Medikamenten). Sie spricht erst einmal von einer inzwischen „hoch effektiven medikamentösen Attackentherapie“.

Eine solche Attackentherapie würde eigentlich eine Prophylaxe erübrigen. Aber dann kommt die Kehrtwende. Die „hoch effektive Attackentherapie“ wird in der Regel mit Triptanen durchgeführt.

Für die gibt es aber eine Reihe von Gegenanzeigen oder aber Unverträglichkeiten, die für die Patienten in der Praxis nichts anderes übriglassen, als eine Migräne-Prophylaxe zu betreiben.

Dazu gibt es dann noch etliche Patienten, bei denen die „hoch effektive Attackentherapie“ überhaupt nicht wirkt. Auch die sind auf eine Prophylaxe angewiesen. Zum Schluss kommt dann noch ein weiterer grotesker Punkt hinzu: Triptane sind bekannt dafür, dass sie in häufiger Dosierung das machen, was sie eigentlich verhindern sollten: Sie lösen Migräne aus.

Von daher empfiehlt die Schmerzklinik Kiel, dass Akutmedikamente nicht mehr als an 10 Tagen im Monat eingenommen werden sollten, da sonst die Gefahr einer von Medikamenten induzierten Migräne besteht.

An den anderen 20 Tagen des Monats sollte überhaupt kein Schmerzmittel eingenommen werden. Die Mediziner haben auch schon einen „Fachbegriff“ für dieses Phänomen geprägt: MÜK = Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz.

Um diesen MÜK zu vermeiden, haben sich die Kieler Kliniker zum Ziel gesetzt, mit der Prophylaxe die Zahl der Tage, wo Migräneattacken auftreten, so zu verringern, dass beim Einsatz von Akutschmerzmitteln die 10-Tage-Grenze nicht überschritten und somit der MÜK verhindert wird.

Die Kieler fassen dies in einem Satz zusammen: „Damit ist für die Entscheidung zur Migräneprophylaxe weniger die Häufigkeit der Migräneattacken bedeutsam, als vielmehr die Zahl von Migränetagen im Monat.“

Übrigens: Wenn Sie solche Informationen interessieren, dann fordern Sie unbedingt meinen kostenlosen Praxis-Newsletter dazu an:

Dauer und Dosierung

Die Deutschen Neurologen empfehlen, wie weiter oben beschrieben, eine mindestens 3-monatige Therapie mit Betablockern (oder anderen Substanzklassen) bevor man die Effektivität der prophylaktischen Bemühungen beurteilen kann.

Die Kieler Schmerzärzte dagegen reden von einem Zeitraum von 2 bis 8 Wochen. Die Beurteilung aber, ob effektive Prophylaxe oder nicht, sollte erst nach 8 bis 12 Wochen vorgenommen werden.

Wie lange dann eine nachhaltige Behandlung erfolgen muss, damit auch eine nachhaltige Reduktion der Anfälle erzielt wird, darüber scheint es (eigenartigerweise) überhaupt keine Untersuchungen zu geben. Aus Kiel kommt auch hier die Empfehlung, mindestens 6 bis 9 Monate zu therapieren.

Wirksamkeit und Effektivität der Prophylaxe zeichnen sich nicht dadurch aus, dass die Betroffenen danach überhaupt keine Anfälle mehr aufweisen. Vielmehr, siehe oben, wird die Häufigkeit reduziert und die Intervalle der Anfälle wird verlängert.

Im Falle einer Attacke kann der Patient dann sein Akutmittel zum Einsatz bringen, ohne Gefahr zu laufen, aufgrund eines zu häufigen Gebrauchs einen MÜK zu bekommen.

Zur Frage der Dosierung empfehlen die Deutschen Neurologen und die Kieler Schmerzärzte, alle in Frage kommenden prophylaktischen Substanzen, inklusive Betablocker, einschleichend zu dosieren.

Ein Facharzt für Neurologie (neuro24.de/ks6.htm) gibt für Metoprolol 100 mg/Tag Anfangsdosierung an, die auf die maximale Dosis von 250 mg/Tag erhöht werden kann. Für Propanolol sind das 60 bis 80 mg/Tag Anfangsdosis und maximal 240 bis 320 mg/Tag (was mir allerdings etwas zu hoch erscheint, zumal die Initialdosis unter der von Metoprolol liegt. Achtung Nebenwirkungen…).

Die Zeit von der ersten Gabe bis zur Maximaldosierung sollte einige Wochen betragen, um Nebenwirkungen zu minimieren.

Wie und warum wirken Betablocker prophylaktisch gegen Migräne?

Ich weiß es nicht. Und die Kieler und Deutschen Neurologen und alle anderen Fachkoryphäen auf dieser Welt wissen es auch nicht. Aber es kursieren eine Reihe von Hypothesen, wie und warum der Betablocker diese Wirkung hat.

Betablocker blockieren Betarezeptoren, die im gesamten Körper verteilt vorkommen. Diese Rezeptoren werden in der Regel von Katecholaminen besetzt und angeregt. Geschieht dies an einem Rezeptor am Herzen, dann kommt es zu einer Erhöhung der Aktivität des Herzens = höhere Herzfrequenz und höhere Kontraktilität des Herzmuskels.

Die Reizleitungsgeschwindigkeit erhöht sich ebenfalls. Eine Blockade der Rezeptoren dagegen hat den gegenteiligen Effekt. Es erfolgt auch eine Blutdrucksenkung, in der Regel aber nur bei Hypertonikern.

Normotone Patienten erfahren meist keine signifikante Senkung des Blutdrucks. Aber dieser anti-hypertensive Effekt stellt sich ebenfalls erst nach 1 bis 2 Wochen ein, während die Senkung der Herzfrequenz direkt abhängig ist von den Plasmaspiegeln.

Die Hypothese für die Wirksamkeit der Betablocker bei Migräne beruht auf dem eben geschilderten Wirkprofil. Man vermutet, dass eine Reduktion der Herzfrequenz zu einer Verlangsamung der Schmerzimpulse führt.

Man vermutet auch, dass die Schmerzen den Blutdruck ansteigen lassen, was wiederum einen ungünstigen Effekt auf die Schmerzschwelle hat. Aufgrund seiner anti-hypertensiven Eigenschaft durchbricht der Betablocker diesen Teufelskreis, aber erst, nachdem die volle anti-hypertensive Kapazität beim Patienten zur Entfaltung gekommen ist. Und das dauert in der Regel um die 2 Wochen (bei Neueinstellung).

Da der Betablocker auch die Reizleitung „nachteilig“ beeinflusst, wird dieser Nachteil zum Vorteil. Die abgeschwächte Reizleitung führt zu einer Verringerung der Schmerzintensität.

Diese Aussagen sind allesamt mit Vorbehalt zu bewerten, da sie eigentlich mit den Maßstäben der Schulmedizin gemessen allesamt nicht evidenzbasiert sind. Ob neben der kardialen Reizleitung auch die neurologische Reizleitung durch eine Betablockade beeinflusst wird, dazu habe ich keine Arbeiten finden können, die dies bestätigen würden.

Übrigens: Wenn Sie solche Informationen interessieren, dann fordern Sie unbedingt meinen kostenlosen Praxis-Newsletter “Unabhängig. Natürlich. Klare Kante.” dazu an:

Betablocker und Nebenwirkungen?

Im Allgemeinen gelten Betablocker, besonders die Beta-1-Selektiven, als nebenwirkungsarm. Die evidenzbasierte Praxis jedoch zeichnet ein anderes Bild.

Das Repertoire der Nebenwirkungen ist recht umfangreich: Übelkeit, Durchfall, Bronchospasmus, Atemnot, kalte Extremitäten, Bradykardie, Hypotonie, Herzversagen, Störungen der Reizleitung im Herzen, Müdigkeit, Sehstörungen, Konzentrationsstörungen, Halluzinationen, Schlaflosigkeit, Albträume, Depressionen, sexuelle Funktionsstörungen, Erektionsstörungen und/oder Veränderungen im Glukose- und Fettstoffwechsel sowie eine Abnahme der nächtlichen Melatoninfreisetzung.

Letzteres bedingt zum einen ein erhöhtes Risiko für Diabetes (Veränderungen im Glukosestoffwechsel) und eine Verschlechterung der Schlafqualität (Abnahme der nächtlichen Melatoninfreisetzung). Eine Verschlechterung der Schlafqualität könnte dann vermutlicherweise auch wieder ein Grund oder Auslösefaktor sein für eine Migräneattacke beziehungsweise die Bereitschaft für diese Attacken verstärken.

Fazit

Betablocker: Im Reich der Blinden ist der Einäugige König.
Wie man den Veröffentlichungen der Schulmedizin entnehmen kann, ist man mit sich und seinen Optionen bei der Behandlung von Migräne sehr zufrieden. Erklärungen nach dem Warum und dem Wie werden auf spekulativer, evidenzunbasierter Ebene abgehandelt und sofort akzeptiert.

Wo man sonst laut nach evidenzbasierten Studien schreit, wird hier über die Ursachen der Migräne nur noch spekuliert und diese als Erklärung weitestgehend akzeptiert.

Es sieht für mich daher so aus, als wenn kaum jemand wirklich an einer Erklärung der Ursachen interessiert ist. Wozu auch? Denn mit den aktuellen Akutsubstanzen und den Betablockern als prophylaktisch einsetzbaren Substanzen hat man in der Praxis ein „schönes“ Handwerkszeug, um dieses Leiden und dessen Symptome nach eigenem Gutdünken gut zu verwalten. Was will man mehr?

Was Betablocker sonst noch alles so machen:

Betablocker für alle – Evidenzbasierte Katastrophen der Schulmedizin

Schwankender Blutdruck und seine noch schwankendere evidenzbornierte Behandlung

Betablocker schützen nicht vor Herzinfarkt oder Schlaganfall

Betablocker: Einmal Hü – einmal Hott

Beitragsbild: 123rf.com – Katarzyna-Bialasiewicz

Bitte teilen Sie diesen Beitrag

Das könnte Sie auch interessieren: