Antidepressiva, die einen Einfluss auf Serotonin-Rezeptoren haben, sind nicht nur für die Behandlung von Depressionen geeignet – so scheint es.

Der Grund für diese „Überlegung“ liegt darin, dass Serotonin-Rezeptoren sich im zentralen Nervensystem, Magen-Darm-Trakt, Herz-Kreislauf-System und im Blut befinden.

Hier steuern sie eine Reihe von biochemischen Vorgängen, die bei einer Fehlfunktion symptomatisch als Migräne, Depression, Schizophrenie, Übelkeit, Essstörung, Erbrechen und so weiter in Erscheinung treten können.

Diese Serotonin-Rezeptoren sind gegliedert in ein „Geflecht“ von verschiedenen Untergruppen (5-HT-Rezeptoren), deren Blockierung beziehungsweise Aktivierung zu unterschiedlichen Reaktionen führt.

Aber nicht alle Serotonin-Rezeptoren haben einen Einfluss auf Depression (und Migräne). Eine Blockade dieser Rezeptoren bringt also keinen höheren therapeutischen Effekt, sondern nur deutlich mehr Nebenwirkungen.

Und die trizyklischen Antidepressiva als unspezifisch wirksame Antagonisten waren zu diesem Zeitpunkt Standardmedikamente gegen Depressionen. Die Migräne kam erst viel später hinzu.

Da die unspezifische Blockade von Serotonin-Rezeptoren zu einem hohen Maß an Nebenwirkungen führte, ohne die anti-depressive Wirkung zu verbessern, suchte man also nach Substanzen, die nur die Rezeptoren ansprachen, die etwas mit Depressionen zu tun hatten.

Das Resultat sind die SSRI und SSNRI (Selective Serotonin Reuptake Inhibitor und Selective Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor). Diese Substanzen gelten heute als signifikant besser verträglich als die alten trizyklischen Antidepressiva und haben diese als Antidepressiva praktisch ins Abseits gedrängt.

Ein bedeutender Vertreter der trizyklischen Antidepressiva ist das Amitriptylin, das ebenfalls ein Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor ist, allerdings ein unselektiver. Die Substanz zählt zu den ältesten trizyklischen Antidepressiva. Sie wurde in den USA zur Behandlung von Depressionen 1961 zugelassen. Die Neben- und Wechselwirkungen mit anderen Substanzen sind beträchtlich (Trizyklisches Antidepressivum und Amitriptylin).

Dies ist der primäre Grund, warum man sich nach einer selektiven Substanz umgeschaut hat und so zu den SSRI und SSNRI gekommen ist.

Heute spielen trizyklische Antidepressiva bei der Behandlung von Depressionen keine so tragende Rolle mehr, dafür aber bei der prophylaktischen Behandlung von Migräne. Die Migräne-Experten sehen zwar Betablocker als Mittel der ersten Wahl an. Liegen hier jedoch Kontraindikationen oder Unverträglichkeiten vor, dann steht als Mittel der zweiten Wahl Amitriptylin zur Verfügung (mit all seinen Nebenwirkungen, die man zuvor bei der Behandlung der Depression durch den Einsatz von selektiven Substanzen vermeiden wollte).

Eine Schweizer Webseite (1) zitiert eine Metaanalyse, der zufolge trizyklische Antidepressiva bei der Migräne-Prophylaxe besser wirken als Placebo und SSRI. Allerdings sind sie auch nebenwirkungsreicher als SSRI (was zu erwarten war). Leider gibt es auf der Seite keine detaillierte Quellenangabe zu der Veröffentlichung, außer dass die Arbeit im British Medical Journal veröffentlicht worden ist.

Die Kieler Schmerzklinik sieht für trizyklische Antidepressiva im Allgemeinen und Amitriptylin im Speziellen keine so großen Einsatzmöglichkeiten (schmerzklinik.de/service-fuer-patienten/migraene-wissen/vorbeugung). Hier wird Amitriptylin als eine Substanz beschreiben, die bei der Migräneprophylaxe nur eine „geringe Evidenz“ besitzt.

Das Ärzteblatt (aerzteblatt.de/archiv/8499/Behandlung-der-Migraeneattacke-und-Migraeneprophylaxe) kommt zu einem ähnlichen Schluss bezüglich der prophylaktischen Potenz von Amitriptylin. Sie sagen: „Allein gegeben, ist Amitriptylin bei der Migräne begrenzt wirksam.

Sie können aber zur Prophylaxe gegeben werden, wenn eine Kombination mit einem Spannungskopfschmerz vorliegt oder wenn, wie häufig bei chronischen Schmerzen, eine zusätzliche Depression besteht.“

Natürlich bietet es sich (rein theoretisch) an, einen an Migräne und Depression leidenden Patienten mit nur einem einzigen Präparat zu therapieren. Das steht jedoch im Widerspruch zu der Tatsache, dass man sich seinerzeit in der Branche von den trizyklischen Antidepressiva weitestgehend verabschiedet hat und voll und ganz auf SSRI etc. gesetzt hat, bedingt durch die Häufigkeit und Schwere der Nebenwirkungen.

Während die Kieler Schmerzärzte an der Wirkung auf die Migräne in der Prophylaxe zweifeln und andere das Nebenwirkungsspektrum als limitierenden Faktor ansehen, gibt es plötzlich Stimmen, die mangelnde Wirkung und haushohe Nebenwirkungen noch plötzlicher zu vergessen haben scheinen. Wer kann das sein? Antwort: Die Schmerzklinik Kiel!

Während man weiter oben von einer sehr eingeschränkten Wirkung von trizyklischen Antidepressiva sprach, wird jetzt unter migraine-app.schmerzklinik.de/migraene-wissen/antidepressiva/ Amitriptylin „häufig und mit gutem Erfolg zur medikamentösen Prophylaxe der Migräne und des Spannungskopfschmerzes eingesetzt.“

Sie berufen sich sogar auf eine amerikanische Institution, der American Academy of Neurology, die Amitriptylin als Mittel der ersten Wahl bezeichnet. Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer dagegen sind bestenfalls Mittel der dritten Wahl.

Und weiter geht es im Text mit der Wissenschaft, die angeblich genug Studien für Amitriptylin und seine Wirkung durchgeführt hat, was für andere Substanzen nicht der Fall sein soll. Zuvor jedoch war aus der Kieler Schmerzklinik zu hören, dass Amitriptylin für diese Indikation keine evidenzbasierten Studien aufweisen kann.

Zum Schluss lesen wir noch auf der Seite der Lobeshymnen auf Amitriptylin etwas über Kontraindikationen und Nebenwirkungen, was das geschundene Vertrauen in die Substanz aufgrund der Widersprüchlichkeit in den Aussagen seitens der ein und derselben Klinik auch nicht verbessern hilft.
Wir haben es hier also evidenzbasiert mit einem saftigen Widerspruch in der Beurteilung der trizyklischen Antidepressiva bei der Migräneprophylaxe seitens der evidenzbasierten Schulmedizin zu tun.

Diesen Widerspruch kann ich mir nur als Folge von Interessen erklären, nicht als das Ergebnis von Forschungen. Schon alleine die Aussage zu der Studienlage und den gegenteiligen Ergebnissen dazu lässt bei mir den Verdacht aufkommen, dass hier werbeträchtige Aussagen gemacht werden, die eine im Großen und Ganzen obsolete Substanz wieder auferstehen lassen wollen.

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Oder sind solche Ergebnisse wirklich das Resultat schulmedizinischer Wissenschaft?

Ich vermute auch, dass der Migräne-Markt, der außerordentlich interessant für die Pharmaindustrie zu sein scheint, ein willkommenes Feld für so ein Revival der an sich schon abgehalfterten Substanz ist.

Dementsprechend positiv sind die Ausführungen in den nicht medizinischen Beiträgen über dieses Thema. Wenn man dann liest, dass es eine „sanfte Schmerzbehandlung mit Antidepressiva“ für Migräne gibt (fem.com/gesundheit/artikel/migraene-sanfte-schmerzbehandlung-mit-antidepressiva), wo es vollkommen nebenwirkungsfrei zugeht, dann kann man nur ins Träumen kommen.

Denn: „Auch wenn Sie nicht an Depressionen leiden, können Amitriptylin und verwandte Medikamente aus der Gruppe der Antidepressiva wahre Wunder wirken.“ So sieht evidenzbasierte schulmedizinische Wissenschaft wohl aus.
Und auch der „Focus“ meldet sich marketinggerecht zu Wort (2).

Hier geht es fast kriminalistisch zu. Denn chronische Spannungskopfschmerzen und Migräne mutieren hier zum „Fall für Amitriptylin“. Man beeilt sich zwar, ein paar Nebenwirkungen zu benennen, die aber beim Lesen als nicht so gravierend dargestellt werden. Man will ja seine Leser nicht abschrecken.

Fazit

Trizyklische Antidepressiva und Amitriptylin gibt es seit mehr als 50 Jahren.

Aber trotzdem scheint die Schulmedizin nicht zu wissen, worum es sich hier handelt und ob die Substanzen bei der Migräneprophylaxe wirken oder nicht.

Dies wirft ein bedauernswertes Licht auf diese Substanzen und die Wissenschaft, die sie hofiert. Für mich sind trizyklische Antidepressiva bei Migräne eine Erfindung der Marketingabteilung, die die Substanzen aus der Abstellkammer geholt habt, um noch ein paar Euro damit zu verdienen.

Quellen:

(1) sprechzimmer.ch/sprechzimmer/News/Gesundheit_allgemein/
Trizyklische_Antidepressiva_gegen_wiederkehrende_
Kopfschmerzen.php

(2) focus.de/gesundheit/ratgeber/kopfschmerz/therapie/
medikamente/schwere-migraene-trizyklische-antidepressiva_aid_7845.html

Beitragsbild: 123rf.com – Katarzyna-Bialasiewicz

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